Wer hat diese Formen graviert? Wann war das? Wer war der Herausgeber der Figurenabgüsse, d.h. unter welchem Label wurden sie verkauft? Durch welche Hände sind Formen in den letzten 180 Jahren gegangen? Kann man auf Grund der Graveurhandschrift oder der Anlage der Formen auf den Graveur oder den Hersteller schließen? Und so weiter …
Die Aufklärung der Geschichte dieser alten Formen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein spannendes Unterfangen das lange nicht abgeschlossen ist. Gerne können Sie in diesem Blog Ihre Ansichten, Meinungen, Aspekte, Erkenntnisse und Sonstiges eintragen. Hierfür bitte ganz nach unten scrollen! (Erfassung im Feld:1 = Name, Feld:2 = Email, Feld:3 = Website)
Ich freue mich auf Ihre Kommentare. G.F.
Email vom 19. Mai 2020 – Florian Wilke zum Formenvergleich:
… das ist alles sehr interessant. Allerdings überzeugt es mich nicht von einer Verbindung zwischen Söhlke und Kinkeldey. Einmal ist es die Technik. Söhlke arbeitete z.B. mit Steigern, Kinkeldey dagegen gar nicht.
Die meisten Formen von Kinkeldey gibt es auch bei Meyerheine: Turnier, Dorf, Zirkus … Böhler hat in den 1840er Jahren Söhlkes Landleben kopiert, den Zirkus u.a., Krause und Wilke (Großenhain) kopierten auch nach Söhlke, z.B. den Stierkampf. Den großen Hirten von Kinkeldey, Foto Nr. 65A, gibt es von Dubois, von Ramm und von drei weiteren verschiedenen Berliner (?) Firmen (Stadtmuseum, drei verschiedene Originale, alle spiegelverkehrt zu Dubois). Da die Figur m.E. nicht im Bestand von Söhlke ist, gehe ich davon aus, dass Kinkelday hier einmal den Dubois kopiert hat. D.h. eigentlich nach einem anderen Gießer, denn der Figur wurden Äste hinzugefügt. Dein Originalabguss unterscheitet sich übrigens von der Form.
Ramm hat viel von Söhlke nachgemacht, doch hat er oft die Zusammenstellungen in den Serien geändert.
Diese Firmen fallen mir gerade so ein, es gibt sicher noch viel mehr Kopisten wenn ich tiefer grabe.
Nun zur Firma Söhlke selbst:
Söhlke gehört zu den Zinngießern dieses Namens in Hannover. Es taucht mit dieser Herkunft 1818 in Berlin auf. (Zinngießerakten) 1835 verschwindet er aus den Akten und firmiert als Spielzeugfabrikant und Händler.
1873 geht, wie bekannt, der Formenbestand an Heinrichsen. In einer Endverbraucherliste, ca. 1865, gibt er an, durch die eigene Produktion und den großen Absatz 20% billiger zu sein als die Konkurrenz. Das gelte jedoch nur für Spielzeughandlungen, nicht für Fabriken. (… die ihn kopierten.)
Die frühen Figuren sind ganz im Stil der Zeit und weder besser noch schlechter in der Gestaltung, als die anderer Gießer (siehe Bildteil im Hampe). Der Stil ist so einfach wie verwechselbar: glatte Fläche auf glatte Fläche, kleine Kratzer als Falten, runde Apfelbäckchen. Das sind solide handwerkliche Arbeiten eines Zinngießers ggf. auch eines Gesellen. Später graviert ein Herr Richter für ihn, von dem A. Städtler (Graveur bei Heinrichsen) meint er sei „in jeder Hinsicht ein unsauberer Mensch“.
Dessen Gravuren sind toll! Robinson, Märchen, Gärten, der Krimkrieg etc. sind von ihm und sie sind einfach überragend! Der Richtersche Stil ist, trotz allem Naturalismus, etwas ganz eigenes.
Was das Fischerboot betrifft, so sind 1:1-Kopien keine Seltenheit. Mühevoll versuchte man sogar den Gravurstil zu kopieren.Dann müssten die anderen Formen zur Serie auch nummeriert sein, oder?
Deine Form 35 hätte dann z.B. die Figuren mit den Nummern 26 bis 29 und 10 zum Inhalt. Ist das richtig?
==> Ergänzung GF – JA, das ist richtig“
Frau Dr. Grobe, Heinrichsen:
… ein interessantes Detail ist mir noch aufgefallen, als ich die Website von Herrn Schwarz studiert habe: sowohl der Firmengründer Ernst Heinrichsen als auch Kinkeldey sind in Schweidnitz in die Lehre gegangen, etwa zur gleichen Zeit. Genaueres muss ich aus der Hauschronik noch eruieren, es gab im Haus meiner Schwiegermutter auch einen ‚Lehrbrief‘, der jetzt irgendwo gut verwahrt ist. Wir werden ihn irgendwann wieder finden…
12.5.2020 – Nachricht von Frau Dr. Grobe – Fa. Ernst Heinrichsen: … im Anhang sende ich ein Dokument mit den Vergleichen einiger Formen. Ich hoffe, die Bilder sind aufschlussreich.Aufgefallen ist mir, dass es sich bei den meisten Formen um niedrige Formnummern handelt. Das Formenverzeichnis geht – mit Lücken – bis Form Nr. 1438. Da es unsicher ist, wann die Formen numeriert wurden (erst zum Verkauf 1873 oder handelt es sich um die Original-Numerierung nach Entstehungszeit?), ist die Festlegung eines Gravurdatums kaum möglich. Das einzige zuverlässige Datum ist das des Musterbuchs. Alles was dort abgebildet ist, muss vor 1856 entstanden sein.Im Anhang sende ich auch noch die Figurenverzeichnisse der entsprechenden Serien. Viel Spaß beim Weiterrätseln wünscht …
==> Die Dateien sind hier eingestellt und sind zu finden bei den musealen Formen unter Formenvergleich: USA-Formen vs. Söhlke bei Heinrichsen
Die Sache hat sich weiter entwickelt und ich möchte die ganz interessante Korrespondenz bezüglich der Forschung zu den Formen und deren Geschichte nicht vorenthalten.
24.4.2020 GF – Ich vermute, dass Kinkeldey die Formen nicht selbst graviert hat, sondern eher übernommen hat. Das Fußbrettchen scheint in dieser rombischen Form nachgraviert und der Name dann eingeritzt zu sein. Vielleicht hat er für eine Weile Figuren angeboten und falls er im Besitz dieses Firmenteils war, der mir heute zum großen Teil vorliegt konnte man ja damit keine kompletten Serien ausgießen und dementsprechend hat er nach einer Weile die Formen weiter verkauft. Dann wäre wenigsten eine Station der Formen um 1846 bewiesen. Es bleibt spannend.
25.4.2020 H. Bernard Schwarz: … also, der Zinngießermeister Traugott Kinkeldey hat die Witwe Kretzmer nicht geheiratet, denn die ist als Witwe am 17.11.1855 gestorben. Kinkeldey erscheint letztmalig 1856 im Adressbuch, da er sich mit seiner Frau Friederike am 15.8.1856 auf dem Schiff Elida nach New York aufgemacht hat und später wohl in New Jersey gelebt hat. …
30.4.2020 Alfred Sulzer: Die Figuren meiner Inventarnummer S KIN 0001 stammen zwar alle aus Stettin, aber aus zwei Werkstätten anderen Namens. Bei genauem Studium der Gartenfiguren lese ich nach sorgfältigem Abwägen «C. Kuhlmann, Stettin». Man könnte auch «Wuhlmann» lesen, aber aufgrund Ihrer Recherche, dass um 1860 in Stettin einen Zinngiessermeister C. Kuhlmann nachweisbar ist, scheint mir der Fall klar. Die Machart der Figuren, besonders auch der Signaturen, sind höchst verschieden von den grossen preussischen Gardegrenadieren. Die Figuren von C. Kuhlmann sind wesentlich sorgfältiger gearbeitet als die Soldaten von T. Kinkeldey. Sowohl der Gartenpavillon, wie auch die nur bruchstückhaft erhaltene Szene mit dem spielenden Kind weisen diese Signaturen auf. Bei den Preussen findet sich nur auf dem blanken Steg des Offiziers eine wesentlich ungelenkere Signatur «T. Kinkeldey, Stettin».
1.5.2020 Frau Dr. Grobe: … es freut mich, dass ich die Gravur auf dem Fußbrett (fast) richtig entziffert habe. Weiter viel Spaß beim recherchieren!
1.5.2020 Bernhard Schwarz: die Firmen- bzw. besser Zinngießergeschichte Kinkeldey habe ich jetzt soweit recherchierbar auf meiner Webseite. Die Testamentunterlagen von Traugott und Frederica sind noch nicht ausgewertet – demnächst.Über Kuhlmann ist nicht viel zu finden, die Adressbücher Stettin sind so weit erledigt, aber ich bin mit der weiteren Recherche noch beschäftigt! Welche Ihrer Formen sind Kinkeldey zuzuschreiben? Darf ich die übermittelten Bilder verwenden und gibt es weitere?
2.5.2020 GF Ich habe bisher nur auf einer Form eine Namens-Signatur gefunden. Es ist die Form mit dem Taubenhaus.Diese Bilder dürfen Sie gerne nutzen. Es ist meiner Ansicht nach bisher nicht bewiesen dass die Formen ursprünglich – eindeutig von Söhlke sind. Die Signatur auf dem Fußbrettchen des Taubenhauses muss nicht bedeuten, dass die Form von Kinkeldey graviert wurde. Hier bin ich mir vor allem deshalb nicht sicher, weil die Fußbrettchenform ungewöhnlich anders aussieht als bei den anderen Formen. Zudem ist das Fußbrettchen ziemlich dick eingeritzt was bedeuten kann, dass diese Signatur später eingeritzt wurde.
Eindeutig ist m.E., dass Kinkeldey die Formen mit in die USA genommen hat und dort später, vermutlich von ihm, weitere Formen graviert wurden.
Ein Vergleich der Formen bei Frau Dr. Grobe -Heinrichsen- und den mir Vorliegenden wäre nach meiner Ansicht zum jetzigen Zeitpunkt hilfreich …
2.5.2020 Bernhard Schwarz: … nachdem Traugott Kinkeldey vor seiner Frau gestorben ist, war diese Erbin. Am 23. September 1889 hat sie in „Testamente und Nachlassaufzeichnungen von New Jersey“ als ihre Erbin Hulda Malke McCarthy eingesetzt. Diese Hulda Malke ist im Juli 1851 in Deutschland geboren und hat in den USA John McCarthy geheiratet. Letztmalig ist sie im Directory von 1918 verzeichnet unter der Adresse Newark New Jersey 686 N 7th. Wenn Sie bei Frau Dr. Grobe evtl. die Söhlke-Formen einsehen können, und Formen von Figuren und Gegenständen, die Sie besitzen, dort auch vorhanden sind, kann man wohl annehmen, dass Kinkeldey … fleißig „abgekupfert“ hat – eine Möglichkeit. Irgendwie ist es unwahrscheinlich, dass Söhlke schon vor 1856 Formen verkauft hat; der bestimmt erhebliche finanzielle Aufwand für den Musterkatalog wäre ja dann umsonst gewesen.
5.5.2020 Alfred Sulzer: Mir fällt auf, dass die Hersteller-Bemalung der «USA Figuren» qualitativ gegenüber dem Gerhard Söhlke-Standard etwas abfällt; was die Qualität der Legierung anbetrifft, müsste dies anhand von Vergleichsstücken noch untersucht werden. Dass beim Leuchtturm der Hafenserie ein US-Sternbanner weht, ist natürlich ein untrügliches Zeichen, dass die Figuren für den amerikanischen Markt hergestellt wurden. In Bezug auf die Sujets dominiert ganz klar die «Übereinstimmung» mit Gerhard Söhlke, Berlin, aber es finden sich auch einige Steine, die sich an Schöpfungen anderer Offizinen orientieren. Ich denke da an den Turnierritter nach Heinrichsen (Stein Nr. 32A); die Turnierfiguren zu Fuss nach Vorlagen von Lorenz bzw. Ammon (Stein Nr. 33A und 57A) oder an die Turnierserie, die ich bis anhin nur von Ramm, Lüneburg kenne (Steine Nrn. 42A, 42B und 66A). Und last but not least: Musterbücher sind mit Bestimmtheit keine Unikate. Vor Jahren konnte ich zwei G. Söhlke Musterbücher in einer Privatsammlung ausserhalb von Apolda einsehen, die aus einer Mulde bei der Räumung eines Spielzeuggeschäftes in der Provinz gerettet wurden. Eines der Bücher ist identisch mit dem publizierten Buch, das andere (eine spätere Ausgabe) leicht abweichend. Ich persönlich gehe davon aus, dass es sich bei Traugott Kinkeldey vor allem um einen «Kopisten» handelt. Das ist ja überhaupt nichts aussergewöhnliches, sondern entspricht bei kleineren Offizinen durchaus der Norm. So hat z. Bsp. auch Meyerheine in Potsdam wenig eigenständiges geschaffen. Auch bedeutendere, renommierte, international vernetzte Werkstätten haben um 1850 skrupellos Schöpfungen der führenden Herstellern kopiert. Ich denke da z. Bsp. an Joh. Haffner in Fürth, der Packungen von Heinrichsen (Grosses Ritterturnier um 1840) und Söhlke ( Im Walde, Der Däumling, Gestiefelter Kater, Onkel Toms Hütte) sozusagen perfekt abgekupfert hat. Wie diese Graveure technisch vorgegangen sind, weiss ich hingegen nicht. Wohl kaum mit Hilfe von Musterbüchern sondern vermutlich nach Kauf der entsprechen Packungen der Konkurrenz. Vielleicht kann Florian Wilke zu dieser technischen Frage mehr aussagen.
5.5.2020 GF – … ich gehe davon aus, dass Kinkeldey nie eine große Produktion hatte und die Herstellerqualität der Figurenproduktion von Söhlke bezüglich der Bemalung abbilden konnte. Zum Sternenbanner: Da gibt es noch einige weitere Beispiele solcher, speziell für den amerikanischen Markt vorgesehenen Formen und der frühe Originalkarton mit seinem Label ist ein weiteres, besonderes Indiz hierfür. Der Hinweis auf die Ritter und auch auf weitere Musterbücher ist sehr interessant! Danke.